Der Besucher

Der Besucher

v. Uwe Vitz

( Die Fünfte Ebene: Die Ebene der sechs Türme)


Dr. Philuppus betrat die Universität von Abgrundia, ohne von der Sensation zu wissen.

" Oh geehrter Lehrer." begrüßte ihn, einer seiner Schüler.

" Habt Ihr auch schon von der Sensation gehört?"

" Welche Sensation? Hast du dich ausnahmsweise einmal auf den Unterricht vorbereitet, Sixtus?"

" Scherzt heute nicht" sagte Sixstus ernst.

" Bei den Spiegeln hat man jemanden gefunden. "

" Einen Landstreicher? ", fragte Philuppus müde.

" Einen Besucher! Einen Besucher von der anderen Ebene."

" Aber man kann doch die Kanten zwischen den Ebenen unserer Welt nicht überwinden.

Wer es versucht, wurde bisher in den Weltraum gesaugt. Wie ist er hergekommen? "

" Mit so einer Art Raumschiff! " , berichtete Sixtus begeistert.


*


Zuerst wollte Philuppus es nicht glauben, aber auch keiner der übrigen Lehrer und Schüler sprach von etwas anderen.

Schließlich machten sich alle zusammen auf den weg zu den Spiegelmeistern,

in deren Hauptquartier der Besucher vorübergehend untergebracht war.

Es war beeindruckend dieses riesige Haus,

an dessen Rückseite die gigantischen Spiegel angebracht waren.

Mit gewaltigen Stangen wurden andere, ebenso große Spiegel über die Kante der Welt gehalten,

dass sich in den Spiegeln an dem Gebäude seltsame Bilder, von der anderen Ebene spiegelten.

Ein seltsames Flimmern lag in der Luft, und da hinter die ewige Finsternis des Weltalls.

So nah wie hier kam man dem Rand der Ebene sonst nirgendwo.

Philuppus hatte den Gedanken nur einige Schritte vom Weltraum zu stehen,

immer als genauso faszinierend empfunden, wie die Bilder in den Spiegeln.

Heute waren es fast tausend Personen, die sich vor dem riesigen Gebäude drängelten, und Angestellte der Spiegelmeister versuchten, die Leute zurückzuhalten.

Immer wieder wurde an die Vernunft der Leute appelliert und versprochen,

dass jeder den Besucher sehen könnte.


**


Schließlich erschien Mirutus, der oberste Spiegelmeister, auf dem Balkon

und gebot Ruhe.

Er führte einen jungen Mann an der Hand heraus auf den Balkon.

Der dunkelhaariger schmale Junge trug einen seltsamen silbernen Anzug

und sah ein bißchen bleich, um die Nase aus.

" Er spricht natürlich kein Wort Westanisch. " berichtete Mirutus.

" Trotzdem kann kein Zweifel besehen, dass er von der nächsten Ebene stammt.

Wir Spiegelmeister haben durch jahrelanges Beobachten der anderen Ebene

offenbar das Interesse der Bewohner für unsere Ebene geweckt.

Heute können wir endlich den ersten Besucher begrüßen.

Wenn wir erst das Sprachproblem gelöst haben, wird er uns viele neue Erkenntnis vermitteln.

Dies ist der Lohn von über dreißig Jahren intensiver Arbeit und ständigen Beobachten der anderen Ebene.

Alles was durch diesen Kontakt für unsere Ebene und deren Völker gewonnen wird,

ist uns Spiegelmeister zu verdanken, dies darf niemals vergessen werden! Des Weiteren.."


***


Philuppus hörte nicht mehr weiter zu, den Rest von Mirutus Geschwafel konnte er sich denken,

er kannte den alten Mirutus ja schon lange genug.

Was ihn mehr beschäftigte, war der Sechsberger Goldzahn Gläubigersohn,

Geschäftsführer der Sechsberger in Abgrundia, der sich den Bauch vor Lachen hielt.

Der Zwerg stand eine Reihe vor Philuppus und zwei andere Zwerge mussten ihren Geschäftführer unter die Arme greifen,

sonst wäre er vor Lachen zu Boden gefallen.

Auch diese Sechsberger kicherten die ganze Zeit,

und die missbilligen Blicke all der Doktoren und sonstigen Gelehrten

schien sie gar nur noch mehr zu erheitern.

Als sie schließlich gingen, noch immer schallend lachend, schloss sich Philuppus ihnen an.

Er hatte die beunruhigende Erfahrung gemacht,

dass es immer besser war die Sechsberger besonders im Auge zu behalten,

wenn sie fröhlich wurden.

"Auf ein Wort Herr Gläubigersohn. " sprach Philuppus den Zwergengeschäftsführer vor dessen Büro an.

"Ja, wie viel ist Euch denn ein Wort von mir wert? " fragte der Sechsberger grinsend.

" Das kommt darauf an. Was findet Ihr an unserem Besucher denn so lustig? "

Sofort bekam der Zwerg wieder einen Lachkrampf,

und auch die anderen anwesenden Sechsberger lachten sich ins Fäustchen.

" Bitte hört auf. ", flehte Goldzahn Gläubigersohn schließlich.

" Ich lache mich sonst noch tot. Habt Ihr etwa nicht das angebliche Raumschiff gesehen? "

" Nein wieso? "

" Ein Fass mit Rädern, damit soll er irgendwie über die Kante gerollt sein. "

Der Zwergengeschäftsführer schüttelte den Kopf.

" Schade, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, diese klugen aromianischen Gelehrten

sind so herrlich leicht zu foppen Wenn ich nur den silbernen Anzug von dem Jungen sehe!

Man hat doch schon Personen von der anderen Ebene im Spiegel gesehen,

Seefahrer oder Bewohner dieser komischen Insel, wie nennt Ihr sie noch? "

" Andere Ebeneinsel. " half Philuppus dem ungebildeten Zwerg aus.

" Ja, ja die Andere Ebeneinsel. " , sagte der Sechsberger grinsend ," man hat sie zwar immer nur aus weiter Ferne Schiffe und Bewegungen auf der Insel gesehen, aber solche silberne Anzuge wären schon früher aufgefallen. "

" Er ist eben ein Raumfahrer " erwiderte Philuppus .

" Sicher " stimmte der Sechsberger grinsend zu.

" Aber wenn er von der anderen Ebene stammt, woher hat er dann einen Anzug aus Hykno? "

" Wieso aus Hykno? " fragte Philuppus.

" Na solche Klamotten tragen doch die ` Meister des Drachentores´

im Kaiserreich von Hykno - ich kenne übrigens ihren Schneider. "

" Oh nein " seufzte Phillupus.

"Doch, doch der Geschäftsführer der dortigen Sechsberger, Schlitzauge Langzopfsohn ist ein alter Freund von mir. "


****


" Ich werde Senator Claudius schreiben,

das wird der endgültige Triumph der Wissenschaft gegenüber den Imperialisten im Senat,

die den Sinn einer Stadt wie Abgrundia bezweifeln. "

" Kann ich vorher noch einmal mit dem Besucher sprechen? " , fragte Philuppus seinen alten Freund.

" Wozu, der arme Junge hatte heute schon genug Aufregung. " sagte der Spiegelmeister.

" Bitte, du kennst mich, es ist wirklich wichtig. "

" Na gut. ", sagte Mirutus besorgt. " Aber nur ganz kurz. "

Er führte Philuppus in ein Gästezimmer der Spiegelmeister.

Auf dem Bett lag der Jüngling in den fremdartigen silbernen Anzug.

Philupps trat an den Schlafenden, packte ihn am silbernen Kragen und blickte hinein

. " Tatsächlich, das Sechsbergezeichen. " , stöhnte er.

" Was soll das heißen? " , fragte Mirutus verwirrt.

" Das dein Besucher ein Betrüger ist " , erwiderte Philuppus.

In diesem Augenblick erwachte der Besucher, erschrocken hörte er die Worte und fuhr auf.

."Es ist nicht meine Schuld. " versicherte er eilig.

"Ich wurde zu diesem Schwindel gezwungen. "

" Von wem gezwungen? ", fragte Philuppus drohend.

" Senator Claudius, ich bin sein Sklave gewesen, und er drohte, mich an die Thulaner zu verkaufen. "

" Wozu, was bezweckt der Senator mit dieser Täuschung? ", fragte Miuruts.

" Wenn er hier eintrifft, wird er mich ganz nebenbei als Betrüger entlarven,

ganz Aromia wird dann über die `verblödeten Eierköpfe´ lachen.

Der Senator plant, den Kaiser dazu zu bewegen, kein Geld mehr in die Forschungen in Abgrundia zu stecken,

sondern stattdessen eine große Flotte zu bauen. "

" Wahrscheinlich, um die Nachbarländer zu erobern. ", vermutete Philuppus düster.

" Ja, aber später, erst will er seine Gegner im Senat mundtot machen. " , berichtete der Besucher.

" Du kennst seine Pläne ja sehr genau. " , bemerkte Philuppus.

" Ein Leibsklave kennt seinen Herrn. ", lautete die Antwort.

" Eine Katastrophe", stöhnte Mirutus. " Das ist mein Ende."

" Aber wieso denn?" , fragte Philuppus.

" Der Senator wird mich und alle Gelehrten von Abgrundia zum Gespött der ganzen Ebene machen."

" Wird er nicht", versprach Philuppus.

" Denn jetzt haben wir alle Trümpfe in diesem Spiel."


*****


" So haben wir diese Lüge verbreitet,

um der aromianischen Bevölkerung ein mahnendes Beispiel zu geben,

wie leicht sich die Massen doch irreführen lassen." erklärte Spiegelmeister Mirutus.

" Wahrhaftig erschreckend. ", stimmte Senator Claudius zu,

der dem Spiegelmeister gegenübersaß.

" Und ich persönlich bin Euch sehr dankbar für dese Demonstration.

Der junge Schauspieler, der den Besucher spielte -Wisst ihr zufällig was aus ihm geworden ist?

Ich würde ihn gerne fördern."

" Bedauerlicherweise ist er gestern schon abgereist" , erzählte Mirutus traurig.

" Er hatte dringende Geschäfte in Akonos zu erledigen."

" Sehr schade. ", sagte der Senator.

" Wie erstaunlich, dass er kurz vor meiner Ankunft abreisen musste."

" Aber ist es nicht auch erstaunlich, dass Ihr zufällig gerade jetzt hier vorbeischauen wolltet,

ohne von dem Besucher zu wissen? " , fragte der Spiegelmeister sanft.

" Wir leben eben auf einer erstaunlichen Ebene. ", antwortete der Senator.


******


Vor dem Hauptquartier der Spiegelmeister, bei den riesigen Spiegeln,

in denen sich seltsame Bilder von der nächsten Ebene spiegelen,

standen zwei Gestalten und blickten zum Rand der Ebene,

der nur wenige Schritte entfernt war,

der geehrte Gelehrte Dr. Philuppus und der

bekannte Geschäftsführer der Sechsberger, Goldzahn Gläubigersohn.

" Seltsam, dass so ein kluger Kopf wie Ihr,

auf das Gerede eines so dummen Zwerges, wie mir gehört habt. " , sagte Goldzahn nachdenklich.

" Und seltsam, dass ein so geschäftstüchtiger Sechsberger wie Ihr, sich die Zeit nimmt,

einen Betrüger, der die Bewohner Abgrundias bloßstellen soll, zu entlarven" , antwortete der amorianische Gelehrte.

" Man könnte fast meinen, Euch liegt etwas an Abgrundia und seinen Bewohnern."

" Sie sind so wunderbar leicht zu foppen" , seufzte der Sechsberger.

" Aber wer weiß, vielleicht gelingt es uns, eines Tages Kontakt

zu der anderen Ebene herzustellen, dann werden wir wirklich Besucher haben" meinte Philuppus.

Der Sechsberger grinste nur.

ENDE

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