Spieglein, Spieglein an der Wand

70. Spieglein, Spieglein an der Wand

Spieglein, Spieglein, an der Wand

( Die Ebene der Sechs Türme)

von Uwe Vitz

Während ein besonders strenger Winter über Burland herrschte,musste Königin Edith wieder einen Staatsbesuch in Moria machen,

denn das Verhältnis der beiden Königreiche war wieder einmal mehr als gespannt.

An der Grenze hatte es einige böse Gemetzel zwischen zwei seit Jahrhunderten verfeindeten Ritterfamilien gegeben, und da die eine Sippe diesseits und die andere jenseits der Grenze lebte, versuchten ehrgeizige Adelige auf beiden Seiten, den Vorfall als Vorwand für einen neuen Krieg zu nehmen.

Dabei wartete man jenseits des Bitteren Meeres, in Thula nur auf eine solche Gelegenheit, um über die südlichen Nachbarn herzufallen.

Aber zum Glück war Edith von Burland die Schwester von König Gandru von Moria.

Gandru mochte ein finsterer Bösewicht sein, aber seine Schwester liebte und fürchtete er, und so war es Edith mehrfach gelungen beiden Völkern Kriege zu ersparen.

Der Königliche Schlitten wurde von zwei riesigen Burlandwölfen gezogen und war mit einem kutschenartigen Aufbau ausgerüstet.

Normale Kutschen mit Rädern konnten um diese Jahreszeit den Pfad nach Moria nicht befahren.

Als Schutz für die Königin ritten sechs Ritter neben dem Schlitten her.

Der Nordwind pfiff ihnen ordentlich um die Ohren und die Kälte kroch ihnen allen in die Knochen.

Aber während die Ritter einfach nur froren, blickte Königin Edith nachdenklich in die Nacht.

Das Heulen des Nordwindes ließ sie nicht frösteln, sondern ehrfürchtig staunen.

" Ach hätte ich doch ein Kind. " seufzte sie.

"So wild wie der Nordwind, so schön wie der Schnee, so stolz wie die Nacht. "

Am Ende der Reise gelang es Königin Edith wieder einmal, einen Krieg zu verhindern und einige Tage später erfuhr sie, dass sie schwanger war.


*


" Meisterlein, Meisterlein, an der Wand, bald bist der Mächtigste im ganzen Land. "

Die rothaarige Frau kniete demütig vor dem dunklen Spiegel, aus dem jetzt ihre eigene Stimme klang.

" Frau Gräfin, habt Ihr Haare von der Königin gewonnen, wie wir es Euch rieten, besonnen? "

" Ja Meister. ", sagte die Gräfin.

Die rothaarige Frau wich vor dem Zauberspiegel zurück und zog einen roten Samtvorhang vor das Spiegelglas.

Sie seufzte, denn es war anstrengend, zugleich einen Gräfin und eine heimliche Schwarzmagierin zu sein.

Aber noch hatte sie nicht alles vollbracht.

Die Gräfin öffnete vorsichtig einen Schrank und holte ein kleines Kästchen heraus.

Aus ihrem Kleid zog sie einen Schlüssel und öffnete das Kästchen vorsichtig.

Ein winzig kleines schwarzes Wesen lag in einem Bettchen und blinzelte träge zu ihr herauf.

Die Gräfin ergriff eine Pinzette, packte die Haarsträhne und reichte sie herab zu der Kreatur.

" Pestmännchen klein, bringe zu der Person mit diesem Haar den Tod fein. "

Kaum hatte das eben noch so träge Wesen die kleine Haarsträhne berührt, da jagte es mit unglaublichem Tempo davon.

Die Königin erkrankte an der Pest und starb.

Die Ärzte sprachen von einem Pestmännchen, dass man einfangen musste, um die Königin zu retten,

doch so etwas schaffte niemand.


**


König Gerhard trauerte ein Jahr lang ehrlich.

Aber er hatte nur eine Tochter und als König in Burland benötigte man nun einmal einen Sohn.

So musste er wieder heiraten und alle Fürstentöchter des Königreiches und einige Prinzessinnen aus Nachbarländern wurden ihm vorgeführt.

Doch keine konnte sein Herz gewinnen.

Eines Tages besuchte ihn die Gräfin Lydia von Grausumpf.

Sie war eine Schönheit mit ihren langen roten Haar, den blauen Augen und den roten Lippen.

Aber seit dem Tod ihres Mannes, des brutalen Grafen Herbert von Grausumpf, rankten sich Gerüchte von Hexerei um sie.

Die Gräfin verlangte eine Privataudienz wegen der zunehmenden Streitereien mit Moria.

Seit dem Tod seiner Schwester entwickelte König Gandru einen beängstigenden Hass auf Burland, und das Volk von Moria schien die Gefühle seines Königs zu teilen.

An der Grenze wurde es immer unsicherer, es gab jetzt häufiger blutige Gemetzel.

König Gandru begann, ein starkes Heer aufzustellen, und es gab Gerüchte über einen Feldzug gegen Burland.

Doch in seiner Verzweifelung und Trauer hatte Gerhard diese Probleme einfach verdrängt.

Während er mit der Gräfin sprach, trank er reichlich Wein, wie so häufig.

Er ahnte nichts von dem bestochenen Diener, der einen bestimmten Zaubertrank in den Wein mischte.

Gräfin Lydia war eine sehr erfahrene Frau und in dieser Nacht lernte König Gerhard die Liebe wieder neu.


***


Ein weiteres Jahr verging, dann hatte Burland eine neue Königin.

" Dieser Bastard! " brüllte Gandru außer sich vor Zorn.

" Er hat einer Hexe den Platz meiner Schwester geschenkt. So ist das Andenken von Königin Edith entehrt, sie war eine Heilige, und er heiratet eine Hexe! "

" Das ist der Beweis. " behauptete einer der Grafen.

" Um einer Hexe willen hat König Gerhard Eure Schwester ermordet. "

" Rache! ", rief das Volk von Moria.."

Krieg! " riefen die Adeligen von Moria.

" Heiliger Krieg! "riefen die Priester von Moria.

" Tod! ",rief König Gandru.

" Tod dem Mörderkönig Gerhardt. "


****


Obwohl der Winter schon nahte, stürmte König Gandru an der Spitze seiner Truppen über den Grauen Pfad nach Burland.

Die ersten Dörfer, die sie erreichten, wurden niedergebrannt und die gesamte Bevölkerung erschlagen, auch Frauen und Kinder.

König Gerhardt blieb kleine andere Wahl, er musste seinem Hass erfüllten Feind entgegen ziehen.

In der Nacht nahm Gerhardt Abschied von Lydia.

Er weinte und war wie ein kleines Kind, weil er sich nicht von ihr trennen mochte, aber am Morgen war er wieder der stolze König von Burland.


*****


Und Lydia?

Es wird behauptet auch sie hätte eine Träne vergossen, denn auf eine seltsame Art liebte sie Gerhardt ebenfalls.

Wer weiß?

Aber der unerbittliche Morgen kam.

Der Bischof von Burland segnete Gerhardts Schwert, so wie der der Bischof von Moria Gandrus Schwert gesegnet hatte. Das Burländische Heer zog mit König Gerhardt ab der Spitze in den Norden und bei Schloss Grausumpf kam es zum Treffen zwischen den beiden Königen.

Um den Krieg zu beenden bat Gerhardt Gandru um ein Treffen zwischen den beiden Heeren, Gandru willigte sofort ein.

In ihren Rüstungen und mit blanken Schwert in der Hand saßen sich die beiden Könige auf ihren Schlachtrössern gegenüber.

" Gandru beende diesen Wahnsinn ehe es zu spät ist. " flehte Gerhardt.

" Du vernichtest uns beide. "

" Gerhardt gib mit meine Schwester zurück. ",verlangte Gandru unerbittlich.

" Das kann ich nicht. "

" Gut. Aber ich hörte, meine Schwester starb durch ein Pestmännchen.In deiner Königsburg lebt eine Hexe namens Lydia. Verbrenne sie und ich bin mit der Rache zufrieden. "

" Das kann ich nicht. "

Gandru lachte verzweifelt.

" Dann begreife, dass du uns beide vernichtet hast, nicht ich. "

Mit diesen Worten stürmte er vor.

Gerhardt konnte den Schwertstreich seines ehemaligen Schwagers gerade noch parieren.

Ihre Klingen prallten mit einem lauten Klirren zusammen.

Über die gekreuzten Schwerter hinweg starrten die beiden einander an, und zwei Heere stürmten los um den Königen nach zu eifern.

In der Schlacht von Grausumpf wurden eintausend Soldaten und zwei Könige erschlagen, wie man einige Tage später feststellte

.

******

" Meisterlein, Meisterlein an der Wand, heute bist du der Mächtigste im ganzen Land. "

" Frau Königin, in Burland sind wir heute stark, aber was wird morgen sein? Des Königs Töchterlein macht uns Sorgen. "

" Nordwind ist noch kein Jahr alt, sie ist keine Gefahr für Euch. ", sagte Königin Lydia.

" Frau Königin, was eine Gefahr ist und was nicht,entscheiden wir, nicht ihr. "

Die Stimme klang kalt wie immer.

Doch glaubte Lydia eine Drohung heraus hören zu können.

Wieder einmal bereute sie es, sich mit dem Zauberspiegel eingelassen zu haben.Wer einmal im Bann dieser Macht stand,

für den gab es kein zurück mehr.

Hatte der Spiegel ihr nicht gegeben, was er versprochen hatte?

Macht, Schönheit und Reichtum besaß sie.

Trotzdem schauderte Lydia, denn es war ihr eigenes Spiegelbild welches mit ihrer eigenen Stimme, jedoch mit unmenschlicher Kälte, zu ihr sprach.

Dies machte alles noch viel unheimlicher. Sie wusste, dass sie im Grunde genommen Schuld an dem Krieg zwischen Burland und Moria war.

So war sie fest entschlossen, nicht noch mehr Schuld wegen des Spiegels auf sich zu laden.

Sie trat zurück und zog wortlos den roten Vorhang vor den Spiegel.

Sie wandte sich ab und ging zur Tür, da hörte sie wie der Vorhang wieder aufgezogen wurde.

Langsam drehte sich Lydia um und sah wie ihr eigenes Spiegelbild ihr zulächelte.

Ihr Spiegelbild welches aus den Spiegel heraus griff und absichtlich langsam den Vorhang aufzog.

Lydia schaffte es irgendwie einen Entsetzensschrei zu unterdrücken, ihr eigenes lächelndes Gesicht sprach:

" Frau Königin, weil wir existieren müssen auch noch morgen, macht des Königs Töchterlein uns Sorgen. "

" Was willst du? ",fragte Königin Lydia mit bebender Stimme.

" Frau Königin, bringt uns Nordwinds blutiges Herz, damit sie uns nicht später zufügt schweren Schmerz. "

" Und wenn ich mich weigere? "

" Frau Königin zwingt uns nicht Euch zu strafen, es wäre schade,

denn unser Zorn kennt keine Gnade. "

" Du bist ein Ungeheuer. ", sagte Königin Lydia.

" Frau Königin, Ihr sprecht wahr, aber es nutzt Euch nichts. Denn wir sind Euer Lebenslicht vergesst dies nicht. "

Wütend zog Lydia den Vorhang wieder vor das Spiegelglas und stürmte aus dem geheimen Raum.


*******


Königin Lydia stand mit dem Schwert in der Hand vor dem Bettchen Nordwinds.

Sie schloss die Augen und hob das Schwert zum Schlag.

Aber sie konnte es nicht tun.

Sie dachte an Königin Edith, König Gerhardt und viele andere Unschuldige, die sie nicht einmal kannte.Als Lydia die besonderen Fähigkeiten des Spiegels entdeckt hatte, war es zuerst nur ein Spiel gewesen.

Sie stammte eigentlich aus Goria.

Dort war sie als Tochter eines kleinen Häuptlings aufgewachsen,der ihr eines Tages den Spiegel schenkte, den er in einer Ruine gefunden hatte.

Dann hatte man sie mit den Grafen Herbert von Grausumpf verheiratet.

Er war war ein brutaler Despot,der sie täglich vergewaltigte.

Damals sprach der Spiegel zum ersten Mal mit ihr.

Er bot ihr seine Hilfe an, wenn sie ihn als Meister anerkenne und seinen Geboten gehorche.

Dabei wies er darauf hin, dass ein solcher Pakt für ewig gelten würde.

Sie musste nur ihre Hand ausstrecken und die Hand ihres Spiegelbildes berühren,als es geschah, glaubte sie, eiskalte Haut zu fühlen.und ihr Spiegelbild lächelte sie an, obwohl sie selbst keine Miene verzog.

Der Spiegel verriet ihr ein einfach herzustellendes, aber sehr wirksames Gift und so starb Graf Herbert.

Aber der Spiegel gab weitere Befehle. Er machte sie mächtiger und reicher, es schien ihr, dass ihre Schönheit immer mehr aufblühte und überirdisch wurde.

Doch auch die Schuld wuchs.

Sie verursachte Tod und Verderben in einem Ausmaß, dass ihr vor sich selbst graute.

Voller Schrecken erkannte Lydia, dass der Tod dieses Kindes auch ihr eigener Tod sein würde.

Der Spiegel würde immer größere Gräueltaten von ihr verlangen.

" Wir sind Euer Lebenslicht " hatte der Spiegel gesagt. Lydia begriff nicht genau, was der Spiegel meinte, aber sie ahnte, dass sie schon zu sehr mit ihm verbunden war, um seinem Willen zu trotzen.

Doch wenn es ihr gelang den Spiegel zu überlisten, würde dieser vielleicht freiwillig den Pakt lösen und auf ihre weiteren Dienste verzichten.

Sie rief eine Hebamme, die für ihre Treue bekannt war und befahl ihr Nordwind an einen Ort zu bringen, wo niemand Gerhards Tochter vermuten würde.

Anschließend befahl sie einem Jäger, ihr das Herz eines Rehs zu bringen.


********


" Meisterlein, Meisterlein an der Wand, heute bist du der Mächtigste im ganzen Land. "

Sie verneigte sich scheinbar demütig vor dem Spiegel und hob das blutige Herz empor.

" Frau Königin, Ihr habt uns betrogen, deshalb sind wir Euch nicht mehr gewogen. Ihr entgeht jedoch dem Tod, denn wir bereiten Euch größere Not. "

Eine eiskalte Hand griff aus dem Spiegel heraus und packte Lydia am Handgelenk, die Königin schrie gellend auf, während ihr Spiegelbild zufrieden lächelte.

Dann zog das Spiegelbild Lydia mit einem einzigen Ruck in den Spiegel und trat selber heraus ins Freie.

Burland hatte wieder eine neue Königin bekommen,aber niemand würde es erfahren.

Ihr Spiegelbild schien merkwürdig verzerrt, so als würde es unter großen Schmerz und Grauen leiden.

Die neue Königin schob lächelnd den roten Vorhang vor das Spiegelglas.

Sie würde den Spiegel nicht mehr befragen.

ENDE

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